original in de Ralf Wieland
Ich besch�ftige mich mit Umweltsimulation, neuronalen Netzen und Fuzzy-Systemen, indem ich sie programmiere. Letzteres vollzieht sich immer unter Linux (seit 0.99pl12). Weiterhin bin ich an Elektronik und Hardware interessiert und versuche, das mit Linux zu verbinden.
Immer wieder streiten Politiker um den Zuzug und die Integration
von Ausl�ndern. Firmen richten ihre Produktprofile nach
der demographischen Entwicklung aus. Vor kurzem las ich, dass
in Deutschland die Autok�ufer zuk�nftig in der Mehrzahl
Rentner sein werden. Das Gesundheitssystem, das Rentensystem
etc. all das h�ngt von der demographischen Entwicklung ab.
Wissenschaftler besch�ftigen sich mit diesem Problem.
Es werden tiefgreifende Arbeiten zu diesem
Gebiet ver�ffentlicht, trotzdem ist in weiten Kreisen der
Bev�lkerung wenig �ber die dahinterliegenden Prozesse
bekannt. Hier soll es weniger um Politik oder
wissenschaftliche Exaktheit, als vielmehr um ein paar eigene
Experimente gehen. Man sollte mal gewisserma�en spielerisch
selbst schauen k�nnen, wie denn die Bev�lkerungstruktur in
50 oder 100 Jahren aussehen k�nnte. Was passiert, wenn
Leute abwandern, was passiert, wenn welche dazukommen? Dazu
wurde ein kleines QT-Programm zum Experimentieren entwickelt.
Sicher hat sich jeder mal gefragt, woher eigentlich die in
den Zeitungen abgebildeten Bev�lkerungspyramiden, die
z.B. die Bev�lkerungsstruktur in 50 Jahren zeigen,
stammen. Woher kann man so etwas wissen?
Denkt man eine Weile �ber so ein Bild nach, so stellt man
fest, dass das Ganze davon abh�ngt, wieviele Kinder geboren
werden, wieviele Menschen sterben und ob Menschen in das
betrachtete Gebiet einwandern oder aus dem Gebiet
wegziehen. Letzteres bezeichnet man als Migration, die sich
in Immigration (Leute, die einwandern) und Emigration (Leute,
die auswandern) teilt.
Beginnen wir mit dem ersten, was man wissen muss, um so ein
Modell zu konstruieren, der Geburtenrate. Jedes Jahr wird
eine Anzahl an Kindern neu geboren. Die Geburtenrate ist die
mittlere Zahl der Kinder, die eine Frau in ihrem Leben
bekommt. Sie ist von Land zu Land
unterschiedlich und h�ngt von vielen Faktoren ab. In
Deutschland betr�gt sie ca. 1.3 Kinder/Frau. Manche
L�nder sind kinderfreundlicher als andere, in wieder anderen
L�ndern bilden die Kinder eine Art Altersversicherung.
Die Geburtenrate h�ngt von kulturellen, wirtschaftlichen
Faktoren, dem Bildungsstand, Traditionen etc. ab.
F�r uns ist die Geburtenrate eine Eingangsgr�sse in das
Programm, die zwischen 0..10 Kinder/Frau eingstellt werden
kann. Damit sind wir in der Lage, die Geburtenrate den
jeweiligen Verh�ltnissen anzupassen. Die Anzahl der
geborenen Kinder h�ngt aber nicht nur von der Geburtenrate,
sondern auch von der Anzahl der Frauen im geb�hrf�higen
Alter ab. Im Modell wird die Zahl der Frauen im
geb�hrf�higen Alter (15..45 Jahre) einfach addiert und mit
der Geburtenrate multipliziert. Um auf die Anzahl der Kinder
pro Jahr zu kommen, ist die obige Zahl noch durch 45-15=30 Jahre zu
dividieren. Das ergibt sich einfach daraus, dass eine Frau
ja durchschnittlich in ihrem Leben die Geburtenrate an
Kindern bekommt. Manch einer wird sich vielleicht fragen, ob
die Geburtenrate wirklich stimmt, da ja eine spezielle Frau vielleicht
7 Kinder hat, eine andere aber keins. Das ist eine Sache der
Statistik und kann in der Literatur nachgelesen werden. F�r
uns geht es aber weniger um eine exakte Statistik, als
vielmehr um die M�glichkeit des Experimentierens. So u.a.
auch um die Frage, was w�rde passieren z.B. wenn es in
Deutschland schick w�rde, mehr als drei Kinder zu haben?
W�re doch mal interessant?
Wo Kinder geboren werden, sterben auch Menschen. Das ist ein nat�rlicher Prozess. �hnlich wie die Geburtenrate wirkt die Sterberate, diesmal bezieht sie sich aber auf alle Bev�lkerungsmitglieder, nicht nur die Frauen. (Bei der Geburtenrate spielen M�nner nat�rlich auch eine Rolle, aber die soll hier vernachl�ssigt werden ;-) . Wie man sich leicht vorstellen kann, ist die Sterberate abh�ngig vom Alter eines Menschen. So sterben alte Leute statistisch gesehen h�ufiger als junge. In Deutschland gibt es eine offizielle Sterbetafel, nach der z.B. die Versicherungen ihre Lebensversicherungspr�mien berechnen. Diese wurde dem Programm zu Grunde gelegt. F�r andere L�nder ist das anzupassen. In modernen Industriel�ndern sollte die Rate �brigens nur vom Alter und nicht noch zus�tzlich vom sozialen Stand abh�ngen. Wie mir ein Freund aus Mexiko erkl�rte, gilt das aber nicht generell. Im Programm wird von einer einheitlichen Sterberate ausgegangen, die nur vom Alter abh�ngt. M�chte man also auch die soziale Struktur mit ber�cksichtigen, so ist das Programm zu erweitern. Vielleicht hat jemand Lust?
Als letzter Prozess soll die Migration betrachtet
werden. Sicher spielten Migrationsprozesse schon immer eine
wichtige Rolle. So wanderte die Landbev�lkerung in den
vergangenen Jahrhunderten in die St�dte ab. Das war auch nicht
weiter problematisch, da durch die hohe Kinderzahl dieser
Verlust ausgeglichen werden konnte. Heute spielen sich
Migrationsprozesse auf einer anderen Ebene ab. Trotzdem
spielt die Abwanderung der Landbev�lkerung auch heute noch
in Deutschland eine wichtige Rolle, die dazu f�hren
wird, dass manche Regionen vereinsamen werden. Das Ganze
ist ein autokatalytischer Prozess, der sich durch
zusammenbrechende soziale und kulturelle Leistungen noch
verst�rkt. Es lohnen sich halt keine Kindereinrichtungen,
wenn es nur noch wenige Kinder gibt. Wo es aber keine
Kindereinrichtungen gibt, zieht auch niemand gern
hin. Gleiches gilt f�r kulturelle Einrichtungen. Ohne zu
sehr ins Detail zu gehen, sollte klar sein,
dass Migrationsprozesse vielf�ltige Ursachen haben. Wichtig
im Zusammenhang mit dem vorgestellten Programm ist, dass in
der Regel die Alterstruktur der Menschen, die eine Region
verlassen eine andere ist, als die Menschen, die in die
Region kommen. Um dieses programmtechnisch abzubilden, stehen
im Quellcode "./demogra/demogra1.cpp" ein Feld "Verteilung"
zur Verf�gung, das an die eigenen Gegebenheiten angepasst
werden kann. F�r erste Experimente sollte das aber nicht
notwendig sein.
Als Eingabe gibt es die Felder Emigration
und Immigration, die absolute Werte erwarten. Wenn also im
Jahr 10000 Personen in die Region kommen, so sind im Feld
Immigration 10000 einzutragen.
Last but not least werden wir alle jedes Jahr ein Jahr �lter. Deshalb wird in der Jahresschleife jemand, der vorher z.B. 40 Jahre alt war, dann eben 41 Jahre alt sein. Das Eingabefeld "Step" erm�glicht gleich mehrere Jahrschritte auf einmal auszuf�hren. Man kann also z.B. gleich in 10 Jahresschritten simulieren.
Hier kommt erst mal ein Blick auf die Programmoberfl�che:
Auf der linken Seite sind die oben beschriebenen
Eingabefelder untergebracht. Nach jedem Schritt erfolgt eine
Summation �ber alle Frauen und M�nner, die im entsprechenden
Feld auf der linken Seiten ausgegeben werden. Diese Felder
dienen somit nur der Ausgabe. Ebenfalls dient der gesamte
Graphikbereich nur der Visualisierung. Die Buttons im
linken unteren Teil dienen der Steuerung der Simulation. Mit
dem Button "Step" wird ein Simulationsschritt
ausgef�hrt. "Reset" erm�glicht das R�cksetzen auf den
Ausgangszustand. Ein Abspeichern des aktuellen Zustandes in
eine Datei "simulation.dat" ist vorgesehen. In dieser Datei
befinden sich das Alter und dazu entsprechend die Anzahl der
m�nnlichen und weiblichen Personen. Diese Datei kann dann
einer gesonderten Auswertung unterzogen werden. Die Buttons
"Help" und "Quit" erkl�ren sich wohl selbst.
Auf dem graphischen Ausgabefeld befinden sich im unteren
Teil jeweils die maximale Zahl, der in allen Altersstufen
befindlichen weiblichen bzw. m�nnlichen Personen als
Orientierungshilfe. Zu beachten ist, dass die Gr��e der
Balken sich an dieser maximalen Gr��e ausrichtet. Das ist
vielleicht nicht die beste L�sung, aber mir fiel nichts
besseres ein. Hat jemand ein gute Idee?
Ansonsten sollte die Simulation weitgehend selbsterkl�rend
sein. Bei ung�nstigen Eingaben, z.B. wenn die Zahl der
Emigranten zu gro� gew�hlt wurde, entstehen L�cher in der
Alterspyramide. Ein solches Ergebnis ist in der Praxis nicht
zu erwarten, es sollte also die Eingabe korrigiert
werden. Vielleicht gibt es solche patologische Zust�nde,
eventuell durch AIDS, wirklich? Es k�nnte ja sein, dass eine
Altersgruppe stark dezimiert wird und der Rest durch
Auswanderung eine gesamte Region ver�den l��t?
Das Programm unterliegt der GPL. Bez�glich QT ist die
entsprechende Lizenz von Trolltech bindend. Die Installation
ist denkbar einfach. Zuerst muss man das Demographiemodell
herunterladen (siehe Referenzen).
Das File "demographie-0.2.tar.gz" wird wie
�blich mit: tar -zxvf demographie-0.2.tar.gz entpackt. Im neu
entstandenen Verzeichnis kann mit make bzw. einem vorherigen
qmake die �bersetzung gestartet werden. Voraussetzung neben
QT3 ist nat�rlich der gcc. Das Programm wurde erfolgreich
unter SuSE 8.0 und SuSE 8.1 getestet, sollte aber auch unter
anderen Distributionen laufen.
Gestartet wird es einfach durch den Aufruf auf der
Kommandozeile: "./demographie". Wichtig ist nur, dass sich
die Datei "demo.csv" mit im Verzeichnis befindet. In dieser
Datei sind die Jahreszahlen, die weiblichen, m�nnlichen
Personen und die weiblichen und m�nnlichen Sterberaten
jeweils als kommagetrennte Werte gespeichert. Hier kann auch
eine Anpassung auf ein anderes Gebiet erfolgen. Im Beispiel
wurden die Daten von Deutschland aus einer Zeitung
entnommen. Sie sind damit nicht unbedingt genau, aber dass
soll f�r unseren Zweck des Experimentierens nicht die
entscheidende Rolle spielen.
Das Programm entstand als Teil eines regionalen
Simulationssystems. Mit diesem System sollten u.a. solche
Fragen gekl�rt werden, wie wird sich in einer geographisch
klar abgegrenzten Region (der l�ndliche Raum n�rdlich
Berlins) die Bev�lkerung entwickeln. Dazu wurde vor allem
der Zuzug von jungen Familien in die berlinnahen Gebiete und
der Wegzug junger Menschen in die westlichen Bundesl�nder
Deutschlands untersucht. Damit ergeben sich regional ganz
unterschiedliche Entwicklungen. Es gibt Gebiete, die an
Bev�lkerung zunehmen und andere Gebiete nehmen ab. Manche
Gebiete, vor allem die weit entfernten, werden immer
menschenleerer. Hier wirkt der oben erw�hnte autokatalytische
Prozess.
Man muss aber mit solchen Prognosen auch vorsichtig sein, da
hier bei weitem nicht alle Daten, die f�r so einen Prozess
wichtig sind, Ber�cksichtigung fanden. So kann
beispielsweise durch Telearbeitspl�tze die Entfernung zu
Berlin zunehmend an Bedeutung verlieren. Auch k�nnen
F�rderungsprogramme zur Ansiedlung von Industrie pl�tzlich
ein ganz anderes Umfeld schaffen. Die Modelle sind nur ein
Fortschreibung des jetzigen Zustandes und dienen nur der
Orientierung.
Bei der �bertragung in andere Regionen der Welt wirken ganz
andere Prozesse, die es zu untersuchen gilt. Es w�re
interessant, diese Art von Modellen auch einmal f�r andere
Gebiete, wie z.B. l�ndliche Regionen in Mexiko
anzuwenden. Hier sind noch viele Ideen gefragt. Vielleicht
hat jemand Lust und m�chte sich mit diesen Fragen noch
genauer besch�ftigen oder auch das Programm f�r andere
Regionen adaptieren? Ich w�rde mich �ber eine R�ckmeldung
freuen.
An dieser Stelle m�chte ich mich ganz herzlich bei der Linux Community bedanken, die ein solch phantastisches System entwickelte. Der Firma Troll Tech gilt mein Dank f�r das wunderbare QT und seine Verf�gbarmachung unter Linux. Nat�rlich gilt mein spezieller Dank der FSF f�r die vielen Tools, allem voran der gcc, ohne dem diese Arbeit nicht m�glich gewesen w�ren.
Happy hacking!